Der Ward’sche Kasten – Die Mutter aller Hermetosphären
Der englische Arzt Nathaniel Ward war auch ein begeisterter Botaniker, der Insekten und Pflanzen – vor allem Farne – sammelte. Um 1830 versuchte er seine Fundobjekte erstmals in Flaschen mit Erde zu setzen, die er verschloss. Und siehe da: Auf dem Fensterbrett Richtung Norden wuchsen aus zwei Samen ein Farn und ein Gras. Aus einer Raupe schlüpfte in der Flasche ein Schmetterling. Alles ohne Öffnen und Gießen, also ohne Luft- oder Wasserzufuhr.
Das Prinzip – Dicht verschlossen, adäquates Licht
Das Biotop gedieh, weil Ward seine Gefäße dicht verschloss. So stieg durch Verdunstung aus der Erde Feuchtigkeit auf, konnte nicht entweichen, wurde an der Glaswand vom Gas wieder zur Flüssigkeit, die zur Bewässerung wieder auf das Substrat zurücktropfte: Ein Langzeit-Kreislauf relativ konstanter Feuchtigkeit war geschaffen.
Wie Ward außerdem feststellte, genügt dann eine ausreichende Belichtung und Vermeidung direkter Sonneneinstrahlung, damit ohne weiteres Zutun dauerhaft – über viele Jahre – hervorragende Wachstumsverhältnisse im Gefäß herrschen. Das kleine Stückchen Natur organisiert sich selbst.
Optimiert werden kann das eigenständige Ökosystem, indem man die einzelnen Pflanzen und Tiere so auswählt, dass sie besonders gut harmonieren – optisch und funktionell.
Eine Revolution – Pflegeleicht und transportabel
Jeder konnte sich von da an einen Miniaturgarten im Glas anlegen, ohne einen grünen Daumen zu haben. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war ein Schränkchen mit Orchideen und anderen tropischen Gewächsen als exotisches Accessoire aus dem modernen Wohnzimmer nicht mehr wegzudenken.
Vor allem konnten in Ward’schen Kästen aber erstmals auch Setzlinge über weite Strecken auf Segel- und Dampfschiffen transportiert werden. Davor war das vor allem mangels ausreichender Süßwasserversorgung auf hoher See meist nur mit Samen möglich. Als europäischen Kolonialherren noch einen Großteil der Erde beherrschten und den Welthandel kontrollierten, führte das zu einer Globalisierung von Nutzpflanzen und einem Boom im Handel mit bestimmten landwirtschaftlichen Produkten: Teesträucher gelangten von China unter anderem nach Indien, der Kautschukbaum für die Herstellung von Gummi eroberte von Brasilien die ganze Welt. Aber auch attraktive Zierpflanzen fanden dank der in sich abgeschlossenen Mikrokosmen enorme Verbreitung.
Renaissance als Edel-Deko – Kein Kümmern, nur genießen
Heute geht der Pflanzentransport mit dem Flugzeug natürlich schnell und problemlos. Besonders heikle Arten kommen aber nach wie vor in spezielle Kunststoffsäckchen, die dem Prinzip nach nicht anders funktionieren wie ein Ward’sches Kästchen.
In die Wohnzimmer, Büros, Lokale und Arztpraxen ist die Erfindung aber mit Schwung zurückgekehrt – in Form eines aparten Blickfangs bis hin zum regelrechten botanischen Kunstwerk.